„Gesundheit ist (noch) kein eindeutig definiertes Konstrukt. Sie wird individuell und sozial produziert, konstruiert und organisiert. Allgemeine Ordnungsvorschläge systematisieren Gesundheit als Abgrenzungskonzept, Funktionsaussage oder normative, wertorientierte Setzung. Bedeutsamste wertebasierte Gesundheits-Definition ist bis heute die der WHO von 1948“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2022).
„Gesundheit ist ein relatives und relationales Phänomen, ein sozial verhandeltes Konstrukt, das vom jeweiligen kulturellen, gesellschaftspolitischen und ökologischen Kontext beeinflusst wird und sich dabei beständig erneuert (vgl. de Garine-Wichatitsky et al., 2021; Hafen, 2016; Schmidt, 2017;)“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2022).
„Von besonderer Bedeutung für die Gesundheitsförderung und zugleich die bekannteste wertorientierte Umschreibung ist die Präambel der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1948“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2022). So heißt es: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Das Erreichen des höchstmöglichen Gesundheitsniveaus ist eines der Grundrechte jedes Menschen, ohne Unterschied der ethnischen Zugehörigkeit [original: „race“], der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung“ (WHO, 1948).
„Mit ihrer Definition löste die WHO Gesundheit aus einer rein biomedizinischen Sichtweise und den engen Bezügen professioneller Krankheitssysteme. Gesundheit wird hier positiv definiert und multidimensional bestimmt. Sie umfasst körperliche, seelisch-geistige und soziale Anteile, die sich wechselseitig beeinflussen. Die WHO-Definition war damit auch ein ideengebender Vorläufer des paradigmatisch einflussreichen, erst drei Jahrzehnte später wissenschaftlich ausgereiften und bis in die Gegenwart weiterentwickelten biopsychosozialen Modells von Krankheit (und Gesundheit) (vgl. Bolton & Gillett, 2019; Egle et al., 2020; Engel, 1977; Fava & Sonino, 2017; Hurrelmann & Razum, 2016)“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2022).
„Seit Ende der 1980er Jahre trägt der Sozialisations-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Hurrelmann die Grundvorstellungen zentraler wissenschaftlicher Theorien zusammen, um daraus Grundsätze für Module eines auch wissenschaftlich haltbaren und belastbaren Gesundheitsbegriffs abzuleiten (vgl. Hurrelmann, 1988, 2010). Dabei werden biomedizinische Theorien, Lern- und Persönlichkeitstheorien, Stress- und Bewältigungstheorien, Interaktions- und Sozialstrukturtheorien sowie Public Health-Theorien gleichgewichtig aufgenommen und in das interdisziplinäre, sozialisationstheoretisch abgeleitete „Modell der produktiven Realitätsverarbeitung“ integriert. Zusammenfassend formulierte er acht interdisziplinär tragfähige Maximen von Gesundheit und Krankheit (Hurrelmann & Richter, 2013, S. 139−146):
- Gesundheit und Krankheit ergeben sich aus einem Wechselspiel von sozialen und personalen Bedingungen, welches das Gesundheitsverhalten prägt.
- Die sozialen Bedingungen (Gesundheitsverhältnisse) bilden den Möglichkeitsraum für die Entfaltung der personalen Bedingungen für Gesundheit und Krankheit.
- Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts, Krankheit das Stadium des Ungleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene.
- Gesundheit und Krankheit als jeweilige Endpunkte von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsstadien haben eine körperliche, psychische und soziale Dimension.
- Gesundheit ist das Ergebnis einer gelungenen, Krankheit einer nicht gelungenen Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen.
- Persönliche Voraussetzung für Gesundheit ist eine körperbewusste, psychisch sensible und umweltorientierte Lebensführung.
- Die Bestimmung der Ausprägungen und Stadien von Gesundheit und Krankheit unterliegt einer subjektiven Bewertung.
- Fremd- und Selbsteinschätzung von Gesundheits- und Krankheitsstadien können sich auf allen drei Dimensionen − der körperlichen, der psychischen und der sozialen − voneinander unterscheiden.
„Auf dieser Basis formuliert Hurrelmann eine konsensfähige Definition von Gesundheit. Dabei ist zu bedenken, dass der Begriff „Zustand“ als ein „dynamischer Zustand“ zu verstehen ist“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2022). So bezeichnet Gesundheit „den Zustand des Wohlbefindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich psychisch und sozial in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Gesundheit ist nach diesem Verständnis ein angenehmes und durchaus nicht selbstverständliches Gleichgewichtsstadium von Risiko- und Schutzfaktoren, das zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer erneut in Frage gestellt ist. Gelingt das Gleichgewicht, dann kann dem Leben Freude und Sinn abgewonnen werden, es ist eine produktive Entfaltung der eigenen Kompetenzen und Lernpotentiale möglich, und es steigt die Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu integrieren und zu engagieren“ (Hurrelmann & Richter, 2013, S. 147).
Siehe auch ‚Krankheit‘.